Bula Hinfahrt

Mit Vollgas zum Bula


Bremen, Samstag 23. Juli 2016, 3.00 Uhr morgens – Ortszeit

 

Der Wecker klingelt und ich stehe auf. Auf dem Weg zur Dusche verfluche ich die Eigenschaft meines Stammes, morgens unmenschlich früh aufzustehen, um am Tag etwas zu schaffen, und die Eigenschaft von mir, schon seit Stunden wach zu sein, aus Angst, den Wecker nicht zu hören.

 

 

Bremen, Samstag 23. Juli 2016, 4.30 Uhr morgens – Ortszeit

 

Es klingelt: Lucca mit dem eigens gemieteten Sprinter und Christina mit ihrem üblichen Automobil stehen vor der Tür. In letzterem schläft in Decken gehüllt die halbe Älterenschaft, bei Lucca dagegen sitzt nur Lars, der die aufpeitschensten Partylieder abspielt, um Lucca am Einschlafen zu hindern – es war wohl spät gestern. Ich werfe mein viel zu vieles Gepäck, darunter ein zusätzlicher Rucksack nur mit Spielideebedarf, ein Hordentopf Nudelsalat und eine Krone, die einem die Finger abschneidet, wenn man sie falsch anfasst, in den Sprinter. Aus dem Sprechfunkgerät krächst rauschend Chrissys Stimme: Abfahrt Richtung Süden!

Guten Morgen, meine Damen und Herren, hier spricht ihr Steward. Wir haben unsere Mindestflughöhe erreicht und werden unser Reiseziel voraussichtlich gegen Mittag erreichen. Im Namen der gesamten Crew wünschen wir Ihnen einen Angenehmen Aufenthalt an Bord unserer Maschinen, vielen Dank.

 

 

Niedersächsische Autobahnen, Samstag 23. Juli 2016, 6.00 Uhr morgens – Ortszeit

 

Um nicht müde zu werden, verlangt Lucca, dass wir ihn in spannende Gespräche verwickeln. Aus der Anlage tönt Deutschrap und aus dem Funkgerät Christinas Stimme, die versucht, über diesen Weg am Gespräch teilhaben zu können; in ihrem Auto schlafen alle. Zwischendurch streiten sich die beiden Fahrer regelmäßig über für Außenstehende nicht nachvollziehbare Themen, wie die Geschwindigkeit und die Reihenfolge beim Fahren, was aus irgendeinem Grund alle zehn Minuten neu besprochen werden muss. Lars hat beschlossen, dass jedes Gespräch am Sprechfunkgerät mit 'Over, Roger, Over und Out' beendet werden muss, da es sonst ungültig ist.

 

 

Niedersächsische Autobahnraststelle, Samstag 23. Juli 2016, 8.00 Uhr morgens – Ortszeit

 

Wir frühstücken. Es gibt Schnittchen, Müsliriegel und Couscoussalat, den nur Chrissy um diese Zeit schon runter bekommt. Ein freundlicher Passant weißt uns darauf hin, dass wir nicht so parken dürfen, wie wir parken. Das ist sehr nett von ihm, denn die ganzen Reisebusse, die um acht Uhr morgens schon unterwegs sind, haben zu wenig Platz zum Parken. Auch seine Ausdrucksweise ist dem Anlass vollkommen angemessen.

Meine Damen und Herren, hier spricht wieder ihr Steward. Nach unserem kurzen Aufenthalt konnten wir die Reise planmäßig fortsetzten. Der Pilot hat uns soeben mitgeteilt, dass sich die voraussichtliche Ankunftszeit um wenige Minuten verzögert. Wir wünschen Ihnen noch eine Angenehme Reise, vielen Dank.

Autobahn zwischen Niedersachsen und Hessen, am selben Tag, vormittags

Lucca ist sauer, weil Chrissy behauptet hat, mehrfach am Steuer eingenickt zu sein und schimpft wütend herum. Chrissy ist sauer, weil Lucca der Pilot ist. Das Funkgerät ist nicht eingeschaltet.

 

 

Rastplatz kurz hinter der hessischen Grenze, Samstag 23. Juli 2016, 11.30 Uhr – Ortszeit

 

Pipipause. Lars sperrt sich selber im Sprinter ein und wir wissen nicht, wie wir ihn herausbekommen. Chrissy versucht an Luccas Autoschlüssel zu kommen und wegzufahren. Madita und Johanna geistern immer noch in Decken gewickelt aber halbwegs wach herum. Claas hinterfragt die Geschlechtertrennung der beiden Fahrzeuge.

Meine Damen und Herren, hier spricht wieder ihr Steward. Der Pilot wies mich soeben daraufhin, dass wir unseren Zwischenstopp Frankfurt am Main erst um etwa 13.00 Uhr erreichen. Unsere Ankunft am Zielort wird sich dementsprechend ebenfalls verzögern. Wir bitten Sie, dies zu entschuldigen, vielen Dank.

 

 

Frankfurt, Samstag 23. Juli 2016, 13.00 Uhr – Ortszeit

 

Wir haben das Gebiet um Frankfurt erreicht. Um über die aktuelle Verkehrslage informiert zu werden, haben wir das Radio eingeschaltet. Es kommt eine bunte Fragestunde über Küchenfragen. Käsekuchen soll man nicht mit dem Handrührgerät zubereiten und rohe Kartoffeln machen den Salat schwarz. Es ist spannender als gedacht.

Irgendwie erreichen wir die Herzjesukirche von deren ansässigen DPSG-Stamm wir Zeltmaterial leihen dürfen. Allerdings müssen wir dazu noch den Schlüssel aus der Hochschulbibliothek holen, wo alle nochmal auf Klo gehen.

Chrissy hatte sich den Finger in der Autotür geklemmt und will ihn bei der Gelegenheit verarzten.

Im Pfadfinderkeller des Stammes Oberrat essen wir Nudelsalat und die beiden Fahrer versuchen zu schlafen, was ihnen nicht wirklich gelingt.

 

 

Hessische Autobahnen, Samstag 23. Juli 2016, 15.00 Uhr – Ortszeit

 

Wir fahren endlich weiter. Unser Ziel, mittags am Lagerplatz zu sein, lässt sich nur noch durch moderne Zeitreisetechnik verwirklichen.

Im PKW ist ein neues Spiel entstanden: man muss ein Lied in einem völlig neuen Genre singen, was von der Sprinterbesatzung via Funkgerät vorgegeben wird. Bei der Kategorie 'Operette' entfacht sich aufgrund des schlechten Empfangs ein Streit. Lars entdeckt, dass man das Funkgerät auch ausschalten kann.

Baden-Württembergische Autobahnen, Samstag 23. Juli nachmittags

Lucca filmt die Autobahn aus der Frontscheibe heraus. Wir beschließen – da wir eh später dran sind, als gedacht – einen Baumarkt aufzusuchen, bevor wir auf den Lagerplatz kommen. Madita hat Angst: sie traut Chrissy zu, bei der Kategorie 'Musical' auf dem Standstreifen zu fahren, um tanzen zu können.

 

 

Obi bei Beilstein, Samstag 23. Juli 2016, 16.00 Uhr – Ortszeit

 

Zu dritt und mit einer Packung Bauseherzen bewaffnet gehen Lucca, Chrissy und ich in den Baumarkt. Vor allem, um eine Kundentoilette zu okkupieren. Nach fast einer halben Stunde haben wir diese immer noch nicht entdeckt und verzweifeln in der Türenabteilung, da die Unterscheidung zwischen Ausstellungsstück und Pforte zur Erleichterung schwer fällt.

Danach folgen einige mehr oder weniger sinnvolle Spontankäufe in der Kerzenabteilung, sowie das Ausprobieren sämtlicher Vorschlaghämmer und Äxte. Beim Bezahlen ist die Verkäuferin etwas überfordert, da ich erstmal den gesamten Inhalt meines Brotbeutels auf dem Förderband verteile, auf der Suche nach dem Portemonnaie. Verzweifelt versucht sie, die mittlerweile leere Packung Brauseherzen zu skannen.

 

 

Landstraße in und um Beilstein, Samstag 23. Juli 2016, geht stark auf fünf Uhr nachmittags zu

 

Lucca filmt aufgeregt aus der Frontscheibe. Lars feiert sich selber, als der einzige, der die letzten zwölf Stunden komplett ohne Schlaf verbracht hat. An einer Ampel steigt Chrissy aus dem Automobil, um etwas im Kofferraum zu suchen. Sie selber meint, die Ampel wäre rot gewesen. Lucca ist anderer Meinung. Wir Mitfahrer auch. Die hupenden anderen Verkehrsteilnehmer auch. Die Videoaufnahmen, die bezeugen, dass die Ampel grün war, auch. Dennoch wird diese Streitfrage nie geklärt werden können.

Meine Damen und Herren, hier spricht wieder ihr Steward. Wir erreichen nun unseren finalen Zielort. Bitte stellen Sie ihre Sitzplätze in aufrechte Position und bleiben Sie angeschnallt, bis unsere Maschinen endgültig zum Stehen kommen. Der Pilot und die gesamte Crew bedankt sich, dass Sie sich für uns entschieden haben und freuen uns, Sie auch bei Ihrer nächsten Reise an Bord begrüßen zu dürfen, vielen Dank.

 

 

Visby, Samstag 23. Juli 1397, zur elften Stunde – Ortszeit

 

Nach einem abenteuerlichen Durchschlängeln durch die örtlichen Weinberge und Gehölze erreichen wir den Lagerplatz. Ich freue mich über den Anblick der Dixies. Lucca verflucht die Beschaffenheit des Lagerplatzes. Lars ist aufgrund des Schlafmangels zu Emotionen nicht mehr fähig.

Wir freuen uns auf ein ruhiges Lager. Es wird sicherlich kaum anstrengend werden.

Was könnte schon passieren...

 

 

Visby, Sonntag 7. August 2016, 4.00 Uhr morgens – Ortszeit

 

Im Westflügel des Zeltes wird lautstark diskutiert, ob wir jetzt oder in einer Stunde aufstehen. Ich verfluche die Eigenschaft meines Stammes, morgens

unmenschlich früh aufzustehen, um am Tag etwas zu schaffen. Es würde ziemlich genau vierundzwanzig Stunden dauern, ehe wir zuhause ankommen sollten. 

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